Vielleicht hast du einen Film gesehen, in dem jemand nach einem Schluck Absinth die Wände tanzen sieht. Oder du hast im Internet gelesen, dass Wermut ein starkes Halluzinogen sei. Die Frage ist einfach: Wermut macht dich nicht hallucinieren. Nicht wirklich. Nicht wie in den alten Mythen.
Woher kommt der Mythos?
Im 19. Jahrhundert war Absinth ein beliebtes Getränk unter Künstlern, Schriftstellern und Arbeitern in Europa. Man sagte, es würde die Kreativität beflügeln. Doch gleichzeitig wurde es auch als gefährlich verschrien. Krankenhäuser füllten sich mit Menschen, die nach dem Trinken von Absinth psychotische Episoden hatten. Die Ärzte damals wussten nicht genau, was los war - und machten einfach Wermut und seinen Inhaltsstoff Thujon verantwortlich.
Dabei war die wahre Ursache oft Alkoholmissbrauch. Absinth hatte einen Alkoholgehalt von 60 bis 74 Prozent - mehr als jeder moderne Wodka. Wer das in großen Mengen trank, bekam eine schwere Alkoholvergiftung. Die Halluzinationen, Krämpfe, Verwirrtheit - das war kein Wermut-Effekt. Das war reiner Alkohol.
Was ist Thujon - und ist es gefährlich?
Wermut enthält eine chemische Verbindung namens Thujon. Das ist ein ätherisches Öl, das in vielen Pflanzen vorkommt, etwa auch in Salbei oder Zypresse. In hohen Dosen kann Thujon neurotoxisch wirken - das ist wissenschaftlich belegt. Aber: du müsstest Unmengen davon zu dir nehmen, um etwas zu spüren.
Heutige Absinthe in der EU dürfen maximal 10 mg Thujon pro Liter enthalten. In den USA sind es 10 mg/L bei verkehrsreifen Produkten. Ein typischer Absinth-Glas (30 ml) enthält also weniger als 0,3 mg Thujon. Um eine gefährliche Dosis zu erreichen, müsstest du mehr als 10 Liter Absinth auf einmal trinken. Das ist unmöglich. Bevor du hallucinierst, wirst du ins Krankenhaus gebracht - wegen Alkoholvergiftung.
Was passiert wirklich, wenn du Absinth trinkst?
Wenn du einen guten Absinth trinkst, merkst du zuerst den intensiven Kräuteraroma: Wermut, Anis, Fenchel, Melisse. Der Geschmack ist herb, süßlich, fast pfeffrig. Dann kommt der Alkohol - klar, stark, warm. Einige Menschen berichten von einer klaren, wachen Wirkung. Keine Halluzinationen. Keine bunte Welt. Nur eine leichte Anregung, die sich von Bier oder Wein unterscheidet.
Das liegt an der Kombination aus Alkohol und den ätherischen Ölen. Es ist kein Rausch wie bei LSD oder Psilocybin. Es ist ein klarer, fast meditativer Zustand - der vielleicht in der Romantik des 19. Jahrhunderts als „geistige Erleuchtung“ missverstanden wurde.
Einige Trinker beschreiben es als „klare Betrunkenheit“. Du bist betrunken, aber nicht verwirrt. Du siehst die Welt nicht anders - du fühlst sie nur intensiver. Das ist kein Halluzinogen. Das ist Alkohol, der mit Kräutern verfeinert wurde.
Wermut als Heilpflanze - ein anderes Bild
Wermut wird seit Jahrtausenden in der Volksmedizin verwendet. In der traditionellen europäischen Heilkunde diente es als Appetitanreger, zur Verdauungsförderung und gegen Magenkrämpfe. Heute wird es noch in einigen Kräutertees verwendet - aber nie in Mengen, die Thujon in gefährliche Konzentrationen bringen würden.
Die Pflanze selbst, wenn du sie frisch kaut, schmeckt bitter und kann Übelkeit auslösen. Aber auch hier: keine Halluzinationen. Keine Visionen. Nur ein sehr unangenehmer Geschmack und möglicherweise Magenbeschwerden.
Was sagt die Wissenschaft heute?
Ein Forscherteam der Universität Zürich untersuchte 2019 die historischen und chemischen Grundlagen der Absinth-Mythen. Sie analysierten hunderte alte Rezepte, medizinische Berichte und chemische Analysen. Ihr Fazit: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Absinth in moderaten Mengen Halluzinationen verursacht.“
Die einzigen dokumentierten Effekte sind: Alkoholintoxikation, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und - bei chronischem Missbrauch - Leberschäden. Nichts, was auf Thujon zurückzuführen wäre.
Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA kam 2023 zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die Thujon-Konzentrationen in modernen Spirituosen stellen keine gesundheitliche Gefahr dar.“
Warum fühlt sich Absinth dann manchmal „seltsam“ an?
Du trinkst nicht nur Alkohol. Du trinkst eine komplexe Mischung aus mehr als 70 Kräutern. Die ätherischen Öle wirken auf dein Nervensystem - aber nicht als Droge. Sie verändern die Wahrnehmung von Geschmack, Geruch und sogar Körperempfindung. Das kann sich wie eine leichte Entfremdung anfühlen. Ein bisschen wie nach einem langen Spaziergang im Wald, wenn du plötzlich die Luft anders riechst.
Manche Menschen berichten von einem „klaren Kopf“ nach einem Glas Absinth - trotz Alkohol. Das liegt an der Wirkung der Kräuter auf die Leber und den Stoffwechsel. Es ist keine magische Kraft. Es ist Biochemie.
Was passiert, wenn du zu viel trinkst?
Wenn du drei, vier oder fünf Gläser Absinth in einer Nacht trinkst, wirst du schwer betrunken. Du wirst Übelkeit bekommen. Vielleicht wirst du krank. Du wirst Kopfschmerzen haben. Du wirst dich am nächsten Morgen elend fühlen. Das ist normal. Das ist Alkohol. Nicht Wermut. Nicht Thujon.
Es gibt keine Aufzeichnung eines Menschen, der nach einem Glas Absinth die Wände tanzen sah - und dabei nicht auch eine Flasche Wodka getrunken hatte.
Was ist mit „Absinth der alten Zeit“?
Einige Sammler oder Importeure verkaufen „historische Rezepte“ - Absinthe mit hohem Thujon. Die sind meist illegal. In der EU sind sie verboten. In den USA nur mit Sondergenehmigung. Selbst wenn du so etwas findest: es ist nicht sicher. Du weißt nicht, was drin ist. Die Thujon-Konzentration kann variieren. Und du hast keine Garantie, dass es nicht mit Schadstoffen verunreinigt ist.
Das ist kein Risiko, das du eingehen solltest. Moderne Absinthe ist sicher. Historische Rezepte sind ein Mythos - und oft gefährlich.
Fazit: Wermut macht dich nicht hallucinieren
Wermut ist eine starke, aromatische Pflanze. Absinth ist ein starkes, aromatisches Getränk. Beide sind nicht halluzinogen. Die Geschichte hat sie als magisch dargestellt - aber die Wissenschaft hat das widerlegt.
Wenn du Absinth trinkst, trinkst du Alkohol mit Kräutern. Nicht eine Droge. Nicht eine Vision. Nur ein Getränk mit Geschichte, Geschmack und Wirkung - aber ohne magische Kräfte.
Genieße ihn langsam. Mit Wasser. Mit Zucker. Mit Freunden. Und lass die Mythen hinter dir. Die Wahrheit ist viel interessanter: Absinth ist kein Rauschmittel. Es ist ein Kulturgut - und ein sehr guter Cocktail.
Kann Wermut in Tee hallucinogene Wirkungen haben?
Nein. Selbst wenn du Wermutblätter in Tee aufkochst, ist die Thujon-Konzentration zu gering, um eine halluzinogene Wirkung zu erzielen. Die Menge, die du in einem Teebeutel oder einer Tasse Kräutertee findest, liegt weit unter der toxischen Schwelle. Du wirst höchstens einen sehr bitteren Geschmack und möglicherweise leichte Magenbeschwerden spüren - aber keine Visionen.
Warum wurde Absinth verboten?
Absinth wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern verboten, weil er mit Kriminalität, Wahnsinn und sozialem Verfall in Verbindung gebracht wurde. Die wissenschaftliche Grundlage dafür war jedoch schwach. Der Hauptgrund war die starke Alkoholkonsumtion, nicht Thujon. Spätere Studien zeigten, dass die Gefahr übertrieben war. Heute ist Absinth in der EU, den USA und vielen anderen Ländern wieder legal - mit strengen Thujon-Grenzwerten.
Ist Absinth heute sicherer als früher?
Ja. Moderne Absinthe wird nach strengen Lebensmittelstandards hergestellt. Die Thujon-Konzentration wird genau gemessen und liegt unter 10 mg/L. Frühere Produkte hatten oft unkontrollierte Zutaten, schlechte Destillation und manchmal sogar giftige Zusätze wie Kupfersalze zur Farbgebung. Heutige Absinthe ist rein, kontrolliert und sicher - solange du sie verantwortungsvoll trinkst.
Kann ich Wermut als Nahrungsergänzung nehmen?
Wermut wird manchmal in Tropfen oder Kapseln als Verdauungshilfe angeboten - aber nicht als Nahrungsergänzungsmittel im Sinne von Vitaminen. Die Dosierung ist so niedrig, dass Thujon keine Rolle spielt. Dennoch: bei Schwangerschaft, Lebererkrankungen oder Medikamenteneinnahme solltest du es vermeiden. Sprich mit einem Arzt, bevor du es einnimmst.
Gibt es natürliche Alternativen zu Absinth mit ähnlicher Wirkung?
Nicht wirklich. Absinth ist einzigartig in seiner Komplexität. Aber wenn du einen kräuterigen, bitteren Geschmack magst, probiere Anis- oder Fenchellikör. Oder einen guten Gin mit Wermut als Zutat - wie bei einem Martini. Sie haben ähnliche Aromen, aber keine Thujon-Mythen. Und sie sind leichter zu dosieren.